Überschreitung der Richtgeschwindigkeit = Mithaftung?

Das OLG Hamm hatte darüber zu entscheiden, ob ein auf der Überholspur fahrender Autofahrer trotz Überschreitens der Richtgeschwindigkeit eine Mithaftung an einem Auffahrunfall trägt, wenn der Unfallverursacher ohne ersichtlichen Grund und ohne Betätigen des Blinkers plötzlich auf die Überholspur wechselt. Es hat den Anspruch verneint (Entscheidung vom 06.Februar 2018, Aktenzeichen: -7 U 39/17, 7 U 39/17)

 

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts begründet das Überschreiten der Richtgeschwindigkeit im vorliegenden Fall keine Mithaftung des Klägers. Dies folge aus der gebotenen Haftungsabwägung. Den Beklagten treffe ein erhebliches Verschulden. Aus Unachtsamkeit und ohne den rückwärtigen Verkehr zu beobachten habe er sein Fahrzeug auf die linke Fahrspur herübergezogen.

Ein schuldhafter, den Unfall mitverursachender Verkehrsverstoß des Sohnes des Klägers sei demgegenüber nicht bewiesen. Bei der vor den beiden Fahrzeugen freien Autobahn habe er nicht mit einem plötzlichen Spurwechsel des Beklagten rechnen müssen. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung sei auf dem Streckenabschnitt der BAB nicht angeordnet, die nach den Angaben des Sohnes des Klägers gefahrene Geschwindigkeit von 150 km/h sei mit den Straßen- und Sichtverhältnissen vereinbar gewesen. Eine höhere Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs sei nicht feststellbar. Die damit auf Seiten des Klägers zu berücksichtigende Betriebsgefahr seines Fahrzeugs falle aufgrund des erheblichen Verschuldens des Beklagten im Abwägungsverhältnis nicht mehr ins Gewicht. Aus der maßvollen Überschreitung der Richtgeschwindigkeit um 20 km/h habe sich keine Gefahrensituation für den vorausfahrenden Beklagten ergeben. Im Unfall habe sich die mit der Überschreitung der Richtgeschwindigkeit für einen vorausfahrenden Verkehrsteilnehmer häufig verbundene Gefahr, dass die Annäherungsgeschwindigkeit des rückwärtigen Verkehrs unterschätzt werde, nicht verwirklicht. Der Beklagte habe aus Unachtsamkeit und ohne den rückwärtigen Verkehr überhaupt zu beobachten einen ungewollten Fahrstreifenwechsel ausgeführt. In diesem Fall habe das Überschreiten der Richtgeschwindigkeit für den Beklagten nicht gefahrerhöhend gewirkt. Davon habe auch der Sohn des Klägers ausgehen dürfen. Er habe aufgrund der freien Autobahn darauf vertrauen dürfen, dass der Beklagte den rechten Fahrstreifen nicht grundlos verlasse.

Die Gründe greifen in dem Fall durch und können durchaus auch zur Begründung in einem vergleichbaren Fall herangezogen werden. Es bleibt aber eine Einzelfallabwägung.

Der Link zur Entscheidung: https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA180300660&wt_mc=pushservice&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp